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TV-Kritik/Review: "Deutschland 86": Martin Rauch wird zum hektischen James Bond
(18.10.2018)
Bei deutschen Serien dauert es mit den Fortsetzungen bekanntlich manchmal etwas länger, soweit es sich nicht gerade um verlässliche Quotenbringer wie die SOKOs oder das
Beim Staffelauftakt wundert man sich anfangs, da von Deutschland zunächst einmal gar nicht viel zu sehen ist. Stattdessen werden wir als Zuschauer ins von Unruhen geschüttelte Südafrika des Jahres 1986 geworfen, in dem das grausame Apartheidsregime bereits auf der Kippe steht und zudem Krieg gegen sein Nachbarland Angola führt. Der ist zugleich ein klassischer Stellvertreterkrieg, in dem sich sozialistische und westliche Staaten direkt oder indirekt gegenüber stehen. Und dadurch kommen nun wieder einige der Figuren aus der ersten Staffel ins Spiel, namentlich Martin Rauchs Stasi-Tante Leonora (Maria Schrader), die versucht, für die DDR einen illegalen Waffendeal einzufädeln. Weil ihr noch jemand fehlt, der überzeugend einen westdeutschen Waffenhändler darstellen kann, greift sie auf die Dienste ihres Neffen zurück, der seit seiner Enttarnung als Undercover-Agent bei der Bundeswehr untergetaucht ist und von der Stasi als Lehrer in einem angolanischen Kinderheim "entsorgt" wurde. Eher widerwillig sagt der desillusionierte junge Mann zu, ändert aber spontan seine Loyalitäten, als er während der Vorführung einer Panzerfaust erkennt, dass die Waffen gegen die angolanische Bevölkerung und damit auch gegen seine kleinen Schützlinge eingesetzt werden sollen. Durch das erneute Über-den-Haufen-Werfen seines Auftrags setzt sich Martin zwischen alle Stühle und gerät auf eine wahre Odysee, die ihn erst mitten in den Krieg in Angola, in Folge 4 plötzlich in die libysche Wüste und eine Folge später nach Paris führt...
Man kann Amazon und RTL nicht vorwerfen, es ihren Zuschauern zu leicht zu machen. Wenn man sich nicht zufällig schon mal intensiver mit den politischen Konflikten im südlichen Afrika der 1980er Jahre auseinandergesetzt hat, fällt es schwer, die Rahmenbedingungen der Handlung zu verstehen. Zudem wechseln die Schauplätze ebenso schnell wie die Seiten, auf denen Martin kämpft. Spielte die Vorgängerstaffel natürlich auch schon mit üblichen Spionagefilm-Tropen, erinnert "Deutschland 86" nun endgültig an die James-Bond-Filme mit ihren exotischen und sich im Viertelstundentakt ändernden Handlungsorten. Anders als der allzeit überlegen (und überlegt) wirkende 007 ist sein DDR-Pendant jedoch ein Getriebener, der eher unbeabsichtigt und gegen seinen Willen ständig in neue politisch-militärische Konflikte stolpert. Logisch nachvollziehbar ist das meist nicht. Action und beeindruckende Kulissen sind hier deutlich wichtiger als eine stringente Handlung. Das ist mehr Kolportage als Kontinuität, mehr Kintopp als Qualitätsserie - aber schon sehr gut in Szene gesetzt, mit kinoreifen Bildern von Sonnenaufgängen über der Wüste und durchchoreografierten Schießereien in Fabrikgebäuden einschließlich Zeitlupen und Nahaufnahmen. Handwerklich und was das Produktionsbudget angeht, braucht UFA Fiction keinen Vergleich mit US-amerikanischen Serien zu fürchten.
Was die Autoren um Anna und Jörg Winger aber nicht so recht verstanden haben, ist das Prinzip, nach dem all die international gefeierten Serien von HBO, Showtime, AMC oder Netflix schon seit Jahrzehnten funktionieren: Charaktere über Handlung. Wer dieser immer seltsam blass wirkende Martin Rauch (Jonas Nay) eigentlich wirklich ist, was ihn im Inneren antreibt, versteht man in den neuen Folgen noch weniger als zuvor. Er ist bestenfalls eine Chiffre, die uns Zuschauer durch die Handlung führt. Dabei wäre es, um emotional Anteil zu nehmen, doch gerade wichtig, seine Motivationen zu verstehen.
Wesentlich besser klappt die Charakterisierung bei den Nebenfiguren, die in der DDR geblieben sind. Denn diesen Handlungsort gibt es (natürlich) auch noch - der Kontrast zwischen dem leuchtenden Afrika und dem grauen Alltag in Ost-Berlin und Kleinmachnow könnte allerdings nicht krasser sein. Da zudem die Handlungsstränge episodenlang weitgehend unverbunden nebeneinanderher laufen, machen die Episoden insgesamt den Eindruck, man würde zwei verschiedene Serien gucken, deren Szenen einfach zusammengeschnitten wurden. Dabei sind die Geschichten, die sich in der DDR abspielen, für sich genommen, interessanter. Statt großer Action gibt es hier "kleine" Dramen um den absurden Berufsalltag der Stasi-Bürokraten, die mittels eines vom ZDF ausgemusterten Traumschiffs zu Westdevisen für ihren ebenfalls strauchelnden Staat kommen wollen, oder um eine engagierte Ärztin (neu dabei: Fritzi Haberlandt,
Die ganze Absurdität dieses Systems zeigt sich in der Figur des von Sylvester Groth großartig gespielten Geheimdienst-Offiziers Walter Schweppenstette, der sich die verrücktesten Projekte ausdenkt, um es am Leben zu erhalten, und sich trotzdem abends beim (West-)Fernsehen mit dem ZDF-Kreuzfahrtschiff davon träumt. Ein überzeugter Anhänger der Ideologie, der seit dem Mauerbau 1961 nicht mehr im Westen war (obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte), der Anglizismen wie Babysitter ablehnt und statt Cinderella nur Aschenputtel kennt, der aber bei seiner ersten Mission in West-Berlin dann doch den kleinen Freuden des Kapitalismus erliegt - mit anderen Worten: im Gegensatz zur Hauptfigur ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Ach ja, die weiteren Figuren der ersten Staffel wie Martins Ex-Verlobte Annett Schneider (Sonja Gerhardt) oder sein früherer Bundeswehrkamerad Alex Edel (Ludwig Trepte) sind auch wieder dabei, bekommen in den ersten Folgen aber noch nicht allzu viel zu tun. Der Handlungsstrang um letzteren ist aber immerhin der einzige, der (komplett) in Westdeutschland spielt. Den Serientitel "Deutschland 86" rechtfertigt das nicht, von der Screentime her müsste er eigentlich "DDR-Afrika 86" heißen. Der direkte Kontrast zwischen dem Leben in Bonn und dem in Ost-Berlin, der einen der Hauptreize von "Deutschland 83" ausmachte, fehlt diesmal weitgehend.
So bleibt die Serie ein etwas unausgegorener Hybrid zwischen zeitgeschichtlichem Charakterdrama und vordergründigem Action-Agententhriller, der es nicht leicht haben wird, die Fans eines der beiden Genres vollends zu begeistern. Die vollgepackten Episoden machen den Eindruck, die Autoren hätten einfach zu viel gleichzeitig gewollt. Unterhaltsam ist es aber weiterhin allemal und dank gelungener Dialoge gibt es auch manchmal etwas zu schmunzeln. Und das ist für eine aktuelle deutsche Serie schon recht viel.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten sechs Episoden von "Deutschland 86".
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Amazon 2018 and its affiliates
Prime Video veröffentlicht die zehnteilige Staffel "Deutschland 86" am 19. Oktober 2018. Eine Fortsetzung ist mit dem als Handlungsabschluss vorgesehenen "Deutschland 89" bereits bestellt.
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