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TV-Kritik/Review: "Everyone is f*cking crazy" verstört junges Publikum
(11.08.2023)
Contentwarnung: In diesem Text wird eine Serie besprochen, die sich mit Suizid, Süchten und weiteren psychischen Erkrankungen beschäftigt. Wer betroffen ist oder Hilfe benötigt, kann sich 24/7 an die Telefonsorge wenden: 0800 - 1110111
In letzter Zeit beleuchten öffentlich-rechtliche Sender gerne das Leben junger Erwachsener. Dabei streift zum Beispiel
Das war es jetzt!
Ein Engel im wallenden Gewand scheint aus dem blauen Himmel zu fallen. Finden Sie nicht auch, das Leben fühlt sich manchmal an wie ein Flugzeugabsturz?
, kommentiert Derya aus dem Hintergrund: Ich hab' mich früher oft gefragt, wie es sein muss, dieser Moment, in dem einem klar wird - das war es jetzt!
In Großaufnahme zeigen erschrockene Gesichter der Hauptfiguren, dass nicht nur für die Selbstmörderin alles aufhört. Die Verzweiflungstat beendet ebenfalls das Leben von Derya, Chloë, Schröder und Malik - so empfinden zumindest die jungen Patienten den Absturz ihrer Therapeutin, die ihnen zuvor Hoffnung vermittelte. Chloë versucht, gleichermaßen aus dem Fenster zu springen. Schröder hält das Mädchen zurück. Sie kennt Chloë nicht. Der Zufall oder das Schicksal hat die drei Frauen und den Mann zusammengeführt.
Patientin verkauft sich als Psychotherapeutin
Auf der Straße liegt also eine Leiche. Die Polizei ermittelt am Tatort. Gegenüber Hauptkommissar Schürk (Daniel Sträßer) tritt Derya als Assistentin des Opfers auf. Vor der vermeintlichen Expertin lästert der Kriminalbeamte über die verstörte Chloë: Sie wissen ja sicher, welche Schraube bei ihr locker ist.
Derya behält die falsche Identität, als sie mit Chloë, Schröder und Malik spricht. Sie steckt das Schlüsselbund der Verstorbenen ein. Kaltschnäuzig macht sie den verlorenen Seelen einen Vorschlag: Wir treffen uns wieder, nächste Woche, in der Praxis, weil wir eure Therapie fortsetzen.
Zunächst rauben Zwangsstörungen Chloë die Kraft, die Chance zu nutzen: Ich kann nicht nochmal von vorne anfangen.
Doch Schröder schleppt sie durch die Krise und gewinnt eine neue Freundin. Sie boykottiert die Zusammenkünfte durch starke Aggressionen - für solch ein Verhalten hatte der Justizapparat Schröder zu einigen Bewährungsstrafen und der Psychotherapie verdonnert. Malik lässt seine intellektuelle Überlegenheit heraushängen. Ständig hinterfragt er diese Art von Behandlungen. Ansonsten ballert er sich alle möglichen Drogen in den Kopf und kämpft gegen Angstattacken. Derya ignoriert, was ihr blüht. Sie und ihre Begleiter scheitern vielleicht endgültig, zumal der Aushilfstherapeutin Fehler unterlaufen. Ohnehin könnten Depressionen und Antriebsschwächen Derya überwältigen.
Leistungen der Newcomer erstaunen
Zu bewundern sind die Hauptdarsteller. Die Newcomer zeigen die psychischen Erkrankungen so realistisch, als ob sie ähnliche Erfahrungen mitschleppen. Chloë scheint so leicht zu zerbrechen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sie beschützen möchten. Schröder weckt Sympathie mit ihren Wechseln zwischen Wutanfällen und Fürsorglichkeit. Malik versprüht Charme und Durchsetzungsvermögen: Unbeteiligte ahnen nicht, wie dieser Kerl unter Ängsten zusammenbricht. Derya gibt die meisten Rätsel auf. Wenn sie über ihre Erwartungen stolpert, verliert sie jede Kraft. Luise von Stein und Via Jikeli haben immerhin ihr Handwerk in der Schauspielschule erlernt. Jetzt setzen sie ihre Kenntnisse in der Praxis um - gut so! Fotoshootings haben offensichtlich das Ausdrucksvermögen von Maja Bons trainiert. Arsenij Walker hat die Chancen kleiner Auftritte etwa in
Vorspann und Titelsong wecken Lust auf Ereignisse
Bereits der Vorspann ist zeitgemäß inszeniert und weckt Lust auf die Ereignisse. Zudem enthält er nette Effekte, die zur Zielgruppe passen. Der frische Look bleibt über die gesamten Folgen erhalten. Bildgestaltung und Erzählperspektiven wechseln von Episode zu Episode, ohne die Kontinuität zu verletzen. Diese Flexibilität würde andere Produktionen aufwerten. Der Titelsong "Alles wird gut" geht ins Ohr und verstärkt die Stimmung. Die Rückblenden etwa zu den Sitzungen mit Dr. Thomalla sind geschickt gesetzt worden. Nicht alleine dieses Stilmittel sorgt für Abwechslung und vermittelt schwer verdauliche Inhalte. Angemessen dosierte Komik lockert die Tragik auf.
Altersgefährten profitieren von den Episoden
Tiefen der Charaktere sind kaum zu ergründen
"Everyone is f*cking crazy" trifft die Sprache der Generation. Das gesellschaftliche Umfeld ist gut zu verstehen. Allerdings übertreibt das Drehbuch-Team: Die Autoren würdigen sogar Pflegefälle, Alkoholiker, schwule Väter und Schauspieler in Nöten. Trotz aller Vorzüge bleibt die Serie eine Art Nummernrevue. Die Qualitäten der Jungdarsteller sind nur kurz zu genießen. Jede Episode dauert nicht mal eine halbe Stunde. Nach acht Folgen ist alles vorbei. O.k., dadurch kommt keine Langeweile auf. Allerdings sind die Tiefen in der knappen Zeit kaum zu ergründen.
Wir wollen psychische Störungen und erkrankte Menschen verstehen
Der kleine Sender an der Saar verdient Respekt, ein heikles Thema aufzugreifen und nahe der Wirklichkeit zu präsentieren. Zwangsstörungen taugen in
Sender und Streamingdienste sollten mentale Gesundheit aufs Korn nehmen
Dennoch bleibt der gute Wille im Ansatz stecken. Besonders ARD und ZDF gebührt der Auftrag, die mentale Gesundheit und die Mängel in der Versorgung aufs Korn zu nehmen. Einzelne Schicksale prägen zum Beispiel
Ab dem 12. August stehen alle acht Folgen in der ARD Mediathek zum Streaming bereit. Im SWR Fernsehen läuft die erste Hälfte der Serie am 25. August kurz nach 1 Uhr. Die Fortsetzung ist am 1. September zur gleichen Zeit zu sehen. Zudem zeigt One je zwei Episoden nachts ab 14. September im wöchentlichen Abstand und wenige Tage später in Wiederholungen.
Über den Autor
Leserkommentare
Besserwisserin schrieb via tvforen.de am 13.08.2023, 09.17 Uhr:
Ja, sehr gut, endlich wird das Tabu gebrochen!Ein Hoch auf den unbeschreiblichen Mut, der zu dieser revolutionären Tat erforderlich war, ohne Rücksicht auf die verheerenden Konsequenzen, die sie für die Tabubrecher haben könnte!Es ist ja leider wirklich so, dass in den letzten Jahren in den Medien niemand jemals irgendwo über mentale Gesundheit gesprochen hätte. Konsequent totgeschwiegen wurden und werden von unserer (irgendwie faschistischen) Gesellschaft Dinge wie Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, alle möglichen Formen von Autismus, Traumata (gern auch vererbt von den Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. - ich zum Beispiel leide immens daran, was Vorfahren von mir im Dreißigjährigen Krieg widerfahren ist) etc.pp.Nachdem dieses Tabu nun aber endlich gebrochen ist, könnten wir uns vielleicht auch einem anderen Thema widmen, das in unseren Medien überhaupt nicht auftaucht: Menschen, die sich im falschen Körper gefangen fühlen. Ich zum Beispiel betrachte mich als Baum (natürlich als non-binärer), aber die notwendigen anpassenden Operationen will die Krankenkasse einfach nicht übernehmen. Sie will mir nicht mal einen Kübel zahlen, in den ich eingetopft werden könnte (was mich natürlich schwer traumatisiert). Es ist unglaublich. Hier muss dringend aufgeklärt und Bewusstsein geschaffen werden.SkyDuMonkey schrieb am 22.08.2023, 15.25 Uhr:
Also ich habe noch einen ordentlich großen Kübel ungenutzt rumstehen, etwas Erde rein und immer gut gießen bis die ersten Zweige und äste sprießen :-)
Ich bin ja auch im falschen (Glas)Körper fühle mich eher als LED....
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