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TV-Kritik/Review: "Oktoberfest 1900": Bemüht modernistische ARD-"Event-Serie" über Intrigen auf der Wiesn
(09.09.2020)
Es ist zum Verzweifeln. Während es die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in quasi all unseren Nachbarländern schaffen, Serien zu produzieren, die in der jeweiligen Kultur oder Geschichte verankert, aber zugleich zeitgemäß sind, fühlt man sich bei den Bemühungen der deutschen Anstalten regelmäßig für dumm verkauft. So auch bei der neuen sechsteiligen "Event-Serie" im Ersten, die demnächst an drei Abenden in Doppelfolgen ausgestrahlt wird - früher hätte man sowas einfach Dreiteiler genannt, aber das klingt natürlich nicht so cool und modern.
Die Dänen machen Serien über ihre verlorenen Kriege (
Also München 1900: Das Oktoberfest ist noch ein weitgehend lokales Ereignis, die Standplätze sind aber trotzdem schon begehrt. Für Außenstehende sind sie fast unmöglich zu ergattern, da seit Ewigkeiten im Besitz einiger einheimischer Brauereien. Wenn man dann aus Nürnberg kommt und auch noch das größte Zelt bauen will, das die Wiesn jemals erlebt haben, wie der Großbrauer Curt Prank (Mišel Matičević, Im Angesicht des Verbrechens), kann man nur auf Ablehnung stoßen. Aber Prank schreckt vor gewaltsamen Einschüchterungsversuchen nicht zurück, um seine ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen. Beim lokalen Brauereichef Ignatz Hoflinger (Francis Fulton-Smith) artet die Einschüchterung aber aus und endet in brutalem Mord. Dass der in einer Parallelmontage mit dem heftigen ersten Geschlechtsverkehr von Hoflingers Sohn Roman (Klaus Steinbacher) und Pranks Tochter Carla (Mercedes Müller) gegengeschnitten wird, ist schon reichlich geschmacklos. Dass dann auch noch der goldene Zapfhahn, der als Mordwaffe dient, während Romans Orgasmus ins Bild gerückt wird, an Plattheit schon nicht mehr zu überbieten. Kurz darauf findet ein Stamm von Kannibalen aus Deutsch-Samoa, der für eine Völkerschau nach München verschleppt wurde, den abgetrennten Kopf des Brauers am Isarufer - und wird natürlich gleich selbst verdächtigt, Kannibalen halt.
Während die Restfamilie Hoflinger um Witwe Maria (Martina Gedeck,
Wie modern die Serie sein möchte, schreit sie ständig heraus. Regisseur Hannu Salonen setzt dabei leider mehr auf Zeitlupen und extremes Colorgrading als auf sorgfältige Inszenierung oder Schauspielerführung. Was gestandene Akteure wie Mišel Matičević und Martina Gedeck, die man sonst eher aus Independentfilmen und anspruchsvollen Fernsehfilmen kennt, in diese Kulissenorgie verschlagen hat, bleibt unverständlich. Denn ausgearbeitete Figuren haben sie nicht zu verkörpern, eher wandelnde Stereotype. Am Ende der zweiten Folge kommt dann auch noch ein bisschen intellektuelle Jugendkultur ins Spiel: Künstler und Musiker, die Gedichte und Nietzsche zitieren und den anderen Hoflinger-Sohn Ludwig (Markus Krojer) faszinieren, der nicht nur sensibel, sondern natürlich auch heimlich schwul ist. Ein Hauch von
Wer soll sich diesen grausigen Mischmasch aus Stilen und Handlungselementen bloß angucken? Das ARD-Stammpublikum wird sich in großen Teilen von der übertriebenen Gewalt und der schlechten Beleuchtung eher abgestoßen fühlen. Die jüngeren Serienfans aber, die jeder Anbieter heute erreichen will, werden sich wahrscheinlich schon nicht für eine Serie mit dem biederen Titel "Oktoberfest 1900" interessieren. Und wenn doch, sich vielleicht nach fünf Minuten fragen, was diese Knallchargerei eigentlich soll. Dann doch lieber Netflix. Die haben sich übrigens die internationalen Rechte gesichert - aber dort kann man wenigstens als Alternative auf Serien ausweichen, die nicht nur modern tun, sondern es tatsächlich sind. Wir waren in allem schon mal wesentlich weiter
, sagte der Regisseur Dominik Graf vor einigen Jahren über den Stand des deutschen Films und Fernsehens. Mit Blick auf lange zurückliegende ARD-Serien mit historischem Setting wie
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden der Miniserie "Oktoberfest 1900".
Die sechsteilige Miniserie "Oktoberfest 1900" ist seit dem 8. September 2020 in der ARD Mediathek abrufbar. Die lineare Ausstrahlung im Ersten erfolgt am 15., 16. und 23. September 2020 jeweils ab 20.15 Uhr.
Über den Autor
Leserkommentare
User 1641483 schrieb am 21.01.2021, 08.02 Uhr:
- Schlechtes Bayerisch ist keine Erfindung von den Machern von Oktoberfest 1900, sondern spätestens seit Dahoam is Dahoam gang und gebe.
- "Nach wahren Begebenheiten" wird immer ausgeschmückt ohne Ende, da reicht die Tatsache schon, dass es z.B. ein Oktoberfest gab.
Wer sich bei Wikipedia hinter Filmen, oder Serien mal die reale Geschichte durchliest wird sich wundern, wie man von den Filmemachern eigentlich beschissen wird.
Und "Düster", ja das stimmt, aber 1900 war noch eine ganz andere Zeit. Dreckig und zweifelsohne auch mit viel Gewalt. Probleme sind da überwiegend noch mit der Faust geklärt worden und sicher nicht bei einer Diskussion und einen Glas Wein.Kann diese derartig negative Bewertung nicht verstehen. Fühlte mich über die kompletten sechs Folgen gut unterhalten. Und wer den Vergleich zieht zu anderen geschichtlichen Serien, die auch noch in einer völlig anderen Epoche handeln ist eh auf dem Holzweg.LGErik Einar schrieb am 20.09.2020, 17.13 Uhr:
Für Nicht-Bayern schon sprachlich eine Zumutung.
Ansonsten unnötig brutal und unglaubhaft.
Kann dem Kommentar von Autor Marcus nur zustimmen! Bleib weiter so engagiert und kritisch!Nero1962 schrieb am 16.09.2020, 15.03 Uhr:
Selten so einen Schmarrn gesehen. Ein Mischmasch zwischen der alten und neuen Zeit , ich weiss nicht was das soll.Die renommierten Schauspieler sollen wahrscheinlich als Zugpferd erhalten, ging aber voll daneben.User 1604863 schrieb am 16.09.2020, 11.24 Uhr:
Das Konzept erinnerte einfach viel zu sehr an Babylon Berlin - nur das es einfach nicht passte. Viel zu viel Blut und Gewalt - sehr verworrene Handlungsstränge, die nicht unbedingt neugierig auf die Auflösung machten. Dass es sich um ein Volksfest handelte, konnte man nirgendwo glauben. Bei Babylon Berlin lag der Erfolg auch in den überwiegend unbekannten Darstellern, die so der Serie ihren ureigenes Gesicht geben konnten. Hier hat man leider auf überwiegend sehr renommierte Schauspieler gesetzt, die aber nicht wirklich in ihren Rollen aufgingen und deshalb unglaubwürdig rüberkamen (am schlimmsten Fulton-Smith). Mit dem bayrischen Dialekt hat man es auch übertrieben - für Nichtbayern sehr anstrengend zu verfolgen. Vielleicht sollte die Serie besser auf Bayern3 laufen.User 65112 schrieb am 14.09.2020, 15.59 Uhr:
Wahrscheinlich wird das ein Publikumsrenner ;-)
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